Bundesverfassungsgericht kippt Berliner Beamtenbesoldung von 2008 bis 2020 als verfassungswidrig

Bundesverfassungsgericht kippt Berliner Beamtenbesoldung von 2008 bis 2020 als verfassungswidrig
20 November 2025 0 Kommentare Theo Meier

Das Bundesverfassungsgericht hat die Besoldung von Berliner Landesbeamten für die Jahre 2008 bis 2020 weitgehend für verfassungswidrig erklärt. Die Entscheidung, am 17. September 2025 gefällt und am 19. November veröffentlicht, trifft die Landesbeamten der Berlin mit voller Wucht: Fast alle Besoldungsgruppen der Besoldungsordnung A verstießen gegen Artikel 33 Absatz 5 Grundgesetz, der ein angemessenes Einkommen für Beamte garantiert. Die Folge? Milliarden an möglichen Nachzahlungen – und eine Frist bis zum 31. März 2027, um das System komplett neu zu bauen.

Was genau war verfassungswidrig?

Das Gericht stellte klar: Die Gehälter lagen jahrelang zu niedrig – nicht nur knapp, sondern systematisch. Laut Bundesverfassungsgericht mussten Beamte mindestens 15 Prozent mehr verdienen als Menschen in der Grundsicherung – ein Kriterium, das 2020 erstmals festgelegt wurde. In Berlin aber stimmte das in den meisten Jahren nicht. Für 2008 bis 2017 war die Besoldung in nahezu allen Gruppen verfassungswidrig. Selbst die geringfügigen Anpassungen nach 2017 reichten nicht aus, um den Mindeststandard zu erreichen. Die Zahlen sprechen Bände: In manchen Besoldungsgruppen lagen die Gehälter bis zu 20 Prozent unter dem verfassungsrechtlich geforderten Niveau.

Was viele nicht wissen: Diese Lücke entstand nicht durch Zufall. Politiker in Berlin hatten jahrelang auf Sparmaßnahmen gesetzt, während andere Bundesländer ihre Beamten systematisch aufwerteten. Die Folge: Berlin fiel immer weiter zurück – bis es die Klagen der Betroffenen vor das höchste Gericht brachten.

Ein Urteil mit Wucht – und eine neue Regelfrage

"Erneut mussten Beamtinnen und Beamte bis vor das Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe ziehen, um Recht zu bekommen", sagte Volker Geyer, Bundesvorsitzender des Deutschen Beamtenbundes (dbb). Seine Worte klingen nicht nur wütend – sie sind eine Warnung. "Das ist kein Selbstbedienungsladen für Politiker mit Haushaltsproblemen", betonte er. Und er hat recht: Das Gericht hat jetzt klargestellt, dass die Gesetzgeber eine kontinuierliche Fortschreibungspflicht haben. Kein "jetzt reicht’s mal wieder". Kein "wir schauen nächstes Jahr nach". Es muss jedes Jahr geprüft werden – und angepasst werden, wenn nötig.

Das ist ein Wendepunkt. Bisher galt: Wenn man mal ein bisschen aufstockt, ist’s gut. Jetzt gilt: Wenn du nicht mindestens 15 Prozent über Grundsicherung liegst – du bist verfassungswidrig. Punkt. Und das gilt nicht nur für Berlin. Andere Länder mit ähnlichen Defiziten – wie Bremen, Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg-Vorpommern – werden nun mit Klagen rechnen müssen.

Die juristische Falle: Wer nichts sagt, verliert

Und hier kommt der Haken: Nicht jeder Betroffene kriegt automatisch Geld zurück. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg entschied am 13. November 2025: Wer nach einer Gehaltserhöhung nicht nochmal formell widerspricht, verliert seinen Anspruch. Ein Fall aus der Praxis: Eine pensionierte Beamtin aus Berlin hatte für die Jahre 2016 bis 2019 geklagt – und gewonnen. Doch für 2020 bis 2022? Abgewiesen. Warum? Weil das Land Berlin im April 2019 und Februar 2020 jeweils um 4,3 Prozent erhöht hatte – explizit, um den Durchschnitt der anderen Bundesländer bis 2021 zu erreichen. Sie hat nicht erneut widersprochen. Und das war ihr Verhängnis.

Das ist ein harter Grundsatz. Es reicht nicht mehr, dass etwas verfassungswidrig ist. Man muss es auch jedes Mal neu anmahnen – selbst wenn man glaubt, die Erhöhung löse das Problem. Einige Beamte, die nach 2019 dachten, "jetzt ist es ja besser", haben damit ihren Anspruch auf Nachzahlungen verspielt. Die Behörden haben jetzt ein juristisches Werkzeug in der Hand, das sie nutzen können – und viele werden es tun.

Was kommt jetzt?

Die Berliner Senatsverwaltung für Finanzen hat bis zum 31. März 2027 Zeit, ein neues Besoldungssystem zu entwickeln. Das wird teuer. Schätzungen gehen von 1,2 bis 2,3 Milliarden Euro an Rückzahlungen aus – allein für die Jahre 2008 bis 2020. Dazu kommen die laufenden Kosten: Werden die Gehälter jetzt auf das neue Niveau angehoben, steigen die Personalkosten um 5 bis 7 Prozent jährlich. Das trifft einen Haushalt, der ohnehin unter Schulden und Investitionsstau leidet.

Und dann ist da noch die Tarifrunde mit der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL), die im Frühjahr 2026 beginnt. Die Verhandlungen für Beamte und Tarifbeschäftigte laufen parallel – und jetzt, mit diesem Urteil, hat Berlin kaum noch Spielraum. Es kann nicht mehr sagen: "Wir können uns das nicht leisten." Denn das ist jetzt verfassungswidrig.

Warum das auch für Sie wichtig ist

Diese Entscheidung geht über Beamte hinaus. Sie zeigt: Der Staat hat Grenzen. Wenn er verspricht, seinen Mitarbeitern ein angemessenes Einkommen zu geben – dann muss er das auch tun. Und wenn er das nicht tut, kann das Verfassungsgericht ihn zwingen, es nachzuholen. Das ist ein Signal an alle öffentlichen Arbeitgeber in Deutschland. Und es ist ein Signal an die Bürger: Wer im öffentlichen Dienst arbeitet, hat ein Recht – nicht auf Luxus, aber auf Gerechtigkeit.

Was jetzt kommt, ist kein einfacher Prozess. Es wird Streit geben. Es wird Klagen geben. Und es wird Menschen geben, die trotz Urteil leer ausgehen – weil sie zu spät reagiert haben. Die Frage ist nicht mehr, ob Berlin zahlen muss. Die Frage ist nur noch: Wie viel, und wie schnell?

Frequently Asked Questions

Wie viele Beamte in Berlin sind von der Entscheidung betroffen?

Etwa 135.000 aktive und pensionierte Beamte der Besoldungsordnung A in Berlin sind betroffen – das sind mehr als ein Drittel aller Landesbediensteten. Davon sind rund 40.000 pensioniert. Die Nachzahlungsansprüche erstrecken sich auf die Jahre 2008 bis 2020, wobei die Höhe je nach Besoldungsgruppe und Dienstzeit variiert – von einigen hundert bis zu mehreren zehntausend Euro pro Person.

Warum müssen Beamte nach jeder Gehaltserhöhung erneut widersprechen?

Weil das Gericht jede Gehaltsanpassung als neuen rechtlichen Ausgangspunkt betrachtet. Selbst wenn eine Erhöhung von 4,3 Prozent erfolgt, bedeutet das nicht automatisch, dass das verfassungswidrige Niveau erreicht ist. Wer nicht erneut widerspricht, gilt als einverstanden mit dem neuen Stand – auch wenn dieser immer noch zu niedrig ist. Das ist eine juristische Hürde, die viele Betroffene nicht kennen – und die viele Ansprüche vernichtet.

Was passiert, wenn Berlin die Frist bis März 2027 nicht einhält?

Das Bundesverfassungsgericht könnte Zwangsgelder verhängen – oder sogar die Zahlung von Gehältern vorübergehend untersagen, bis die Regelung geändert ist. Praktisch wäre das ein Stillstand im öffentlichen Dienst. Zudem würden neue Klagen von Beamten erwartet, die dann nicht nur Rückzahlungen, sondern auch Schadensersatz fordern könnten – was die Kosten weiter in die Höhe treiben würde.

Gilt das Urteil auch für andere Bundesländer?

Ja, das Prüfmaßstab gilt bundesweit. Berlin ist nur der erste Fall, der vollständig geprüft wurde. Länder wie Bremen, Thüringen oder Sachsen-Anhalt haben ähnliche Defizite – und bereits Klagen laufen. Das Urteil setzt einen Präzedenzfall: Wer unter dem 15-Prozent-Mindestmaß liegt, handelt verfassungswidrig – egal wo. Andere Länder müssen jetzt ihre Besoldung prüfen – oder sich auf Klagen einstellen.

Wie hoch sind die geschätzten Nachzahlungen für Berlin?

Die Finanzverwaltung schätzt die Nachzahlungen auf 1,2 bis 2,3 Milliarden Euro – je nachdem, ob nur die rechtskräftigen Urteile oder auch die noch anhängigen Klagen berücksichtigt werden. Die höchsten Ansprüche entstehen bei höheren Besoldungsgruppen (A13 bis A16), die besonders stark unter dem Mindeststandard litten. Die Zahlungen werden rückwirkend ab dem Tag der Klageerhebung fällig – nicht ab dem Tag der Entscheidung.

Was bedeutet das für Tarifbeschäftigte in Berlin?

Tarifbeschäftigte sind nicht direkt betroffen – doch indirekt sehr wohl. Die Tarifverhandlungen der TdL werden nun unter dem Druck dieses Urteils stattfinden. Wenn Beamte mehr bekommen, werden auch Tarifbeschäftigte höhere Forderungen stellen können – und die Senatsverwaltung hat kaum noch Argumente, um zu verweigern. Die Lohnunterschiede zwischen Beamten und Tarifbeschäftigten könnten sich damit weiter verringern – was viele Arbeitgeber fürchten.